Grundsätze

Unser Integrationsleitfaden



Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Diese Tatsache wird sowohl von der politischen Administration als auch von den Bürgern dieses Landes als real existierender Zustand registriert und akzeptiert.
Die im Laufe eines halben Jahrhunderts historisierten Kausalitäten dieser gesellschaftlichen Entwicklung werden in den letzten Jahren verstärkt zum Ausdruck gebracht. Dabei findet eine bürgerliche Analyse der Beweggründe für die Migration und die daraus resultierenden Probleme statt mit dem Ergebnis des zunehmenden Verständnisses, der Perspektivenübernahme und sogar der emphatischen Haltung gegenüber den betroffenen Mitbürgern. Diese neue Dimension der Denk- und Handlungshaltung wird von fast jedem Bürger wahrgenommen. Eine kollektive Mobilisierung als Zeichen der Bereitschaft für Problembewältigung ist zunehmend erkennbar. Damit ist ein Meilenstein in der Begründung, Beständigkeit und Nachhaltigkeit von Integrationsmaßnahmen gelegt.Die DITIB-Vereinigung verfolgt diese Entwicklung mit großem Interesse und Engagement. Sie strebt dabei die Zielsetzung der größtmöglichen Beteiligung an Integrationsmaßnahmen sowohl auf Bundesebene als auch auf kommunaler Ebene an. Zudem möchte sie auch Initiator von spezifischen Maßnahmen sein, weil sie zum einen durch ihre soziologische und kulturelle Nähe zu den Migranten eine höhere Erreichbarkeit der Betroffenen erzielen und zum anderen eine Brückenfunktion und Schnittstelle zwischen den Migranten und Eingesessenen übernehmen kann, weil sie die Lebensweise, die mentale Gesellschaftshaltung und den Grad der Integrationswilligkeit beider Seiten durch Erfahrungen jahrelanger ehrenamtlicher Tätigkeiten im Bereich der Sozialarbeit relativ gut kennt.Als Zusammenfassung ihrer empirischen Befunde und Erkenntnisse möchte die DITIB-Nord zur aktiven und erfolgreichen Gestaltung von Integrationsmaßnahmen ein
Sechs-Punkte-Integrationsleitfaden vorstellen.
1. Offenheit und Ehrlichkeit im gegenseitigen Umgang
2. Gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen und fördern
3. Respekt und Toleranz gegenüber Unterschiedlichkeiten entwickeln fördern
4. Gesellschaftliche und politische Partizipation ermöglichen und fördern
5. Chancengleichheit und Gerechtigkeit aufbauen und fördern
6. Ein neues Wir-Gefühl antizipieren und gestalten

1. Offenheit und Ehrlichkeit im gegenseitigen Umgang
Hier neuer Themenabschnitt...Die Offenheit der Handlungsteilnehmer in sozialen Prozessen der diskursiven Auseinandersetzungen, des gegenseitigen Kennenlernens und der gesamtgesellschaftlichen Integration ist eine unabdingbare Notwendigkeit. Unter Offenheit ist nicht die völlige Verausgabung vom Gedankengut zu verstehen, sondern die reziproke Bereitschaft zu gesellschaftsrelevanten Austauschprozessen; wie z.B. der Austausch in kulturellen und religiösen Lebenselementen, die für den Menschen eine identifizierende und sinnstiftende Funktion haben. Dabei hat die Offenheit zweierlei Charakter: einen subjektiven und objektiven. Das letztere hat gewiss eine höhere Gewichtung in der Denk- und Handlungsorientierung der Akteure. Durch die vielseitige Informationseinspeisung einer Person, angefangen im Elternhaus und weit entfaltet in der Medienlandschaft, wird sie in ihrer Offenheit durch die objektiven Einflussfaktoren restringiert bzw. prosperiert. Dabei sind Kinder und Jugendliche in ihrer Offenheit meist weniger destruiert als Erwachsene, was in einer Vorurteilslosigkeit und Kontaktfreudigkeit zum Ausdruck kommt. Daher sind erwachsene Menschen in ihrer subjektiven Offenheitsgestaltung mehr gefordert. In einer modernisierten und aufgeklärten Bildungsgesellschaft ist der mündige Bürger aufgefordert, alle eingefangenen Informationen in einer vernunftgesteuerten Art und Weise zu assimilieren (in bestehende Denkstrukturen einzubinden) und entsprechend der sozialen Notwendigkeit vernünftig zu akkomodieren, d.h. nach außen hin zu demonstrieren, wie z.B. durch Entwicklung von vernünftigen Handlungspraktiken.Und gerade in diesem Punkt liegt auch der Bedarf nach Ehrlichkeit. Denn die subjektive Offenheit als Eigenproduktion und die restrukturierte und defragmentierte objektive Offenheit müssen ihre ehrliche und aufrichtige Ausgestaltung in gesellschaftlichen Lebensprozessen erfahren. Erst so wird eine gesunde und nachhaltige Annährung und damit verbundenes, dauerhaft kohäsives Miteinander der Eingesessenen und Migranten ermöglicht.

2. Gegenseitiges Kennenlernen ermöglichen und fördern
Das Unbekannte mit seiner befremdenden Natur ist ein Katalysator für das Entwickeln von antipathischer und divergierender Haltung in zwischenmenschlichen Beziehungen. Dieser Entwicklung kann mit den oben genannten Instrumenten (Offenheit und Ehrlichkeit) entgegengewirkt werden. Dies kann im kollektiven Leben und im interindividuellen Bereich geschehen. Was ist damit gemeint? Die Menschen haben in räumlicher und zeitlicher Hinsicht sehr viele gemeinsame Momente zur Entwicklung und Entfaltung gegenseitiger Austauschprozesse in genannter Art und Weise. Erwachsene finden Möglichkeiten in gemeinsamen Arbeitsstätten, bei Begegnungen in Vereinen (wie z.B. „Tag der Offenen Moschee“ in türkisch muslimischen Gemeinden), in interfamiliären Kontakten, bei Veranstaltungen in schulischen Einrichtungen, usw.Kinder und Jugendliche haben es, wie schon zuvor konstatiert, einfacher sich auf interaktive Kommunikationen einzulassen. Zugleich bieten sie zustande kommenden positiven Annährungen eine höhere Chance des Gedeihens. Sicherlich haben sie auch mehr Gelegenheiten dazu, wie z.B. im Schulalltag mit seinem kohäsiven Gefüge, in sportlichen Aktivitäten in Vereinen und im privaten Umfeld. Die Schulen bieten zudem mit ihren Angeboten der „Offenen Ganztagsschule“ eine weitere Plattform zum gegenseitigen Austausch in zweckfreier Form; wobei hier die geringe Professionalität und Organisation insbesondere aufgrund der fehlenden finanziellen und personellen Unterstützung seitens der politischen Administration kritisch angemerkt werden sollte. Dies ist sicherlich ein Diskussionspunkt, der hier nicht weiter thematisiert werden soll.Nach dem Entstehen von Konvergenzen bedarf es nun für die Transformation dieses Zustandes in stabile Bekanntschaften, ja sogar in bleibende Freundschaften, zwei weitere Kriterien; Respekt und Toleranz.

3. Respekt und Toleranz gegenüber Differenzen entwickeln
Begriffsbestimmung: Respekt (lateinisch respectus „Zurückschauen, Rücksicht, Berücksichtigung“, auch respecto „zurücksehen, berücksichtigen“) bezeichnet eine Form der Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Ehrerbietung gegenüber einer anderen Person (Respektsperson) oder Institution. Eine Steigerung des Respektes ist die Ehrfurcht, etwa vor einer Gottheit.Toleranz, auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten. Gemeint ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung unterschiedlicher Individuen. ‚Einheit in der Vielfalt‘ ist ein Leitbegriff der Europäischen Union. Die Mannigfaltigkeit in der Kultur, Sprache, Tradition und in allen Lebensführungskriterien sollte kein Grund zur Sorge dahingehend sein, eventuell die eigenen Werte und damit einhergehend die eigenen Existenzgrundlagen zu verlieren. Denn die Vielfalt ist ein Reichtum, ein Pool voller Lebensführungsvarianten, aus dem jedes Gesellschaftsmitglied schöpfen darf und kann. Werte, die in diesem Zusammenhang keine Nachfrage erfahren, werden dabei von vornherein von kurzer Lebensdauer sein und jene mit hoher gesellschaftlicher Resonanz werden die Individuen mehr prägen. Auch dann darf aber als Faktum die Entwicklungsdynamik von gesellschaftsprägenden Werten nicht außer acht gelassen werden. Was heute eine hohe Wertigkeit hat, kann durch zukünftige Entwicklung eine andere Form annehmen. Und zudem ist eine gesunde Konkurrenz interkultureller² Werte eine wichtige Voraussetzung für die gesellschaftliche Dynamik.Die wichtige Bedingung hierbei ist, dass jeder Akteur der Andersartigkeit in geäußerten Meinungen und der Lebensweisen anderer Mitmenschen Respekt entgegenbringt und manche für ihn ungewöhnliche Handlungsbegegnungen toleriert, solange diese nicht den allgemeinen demokratischen Grundprinzipien widerspricht. In vielen Fällen wird man dann zunehmend eine Erklärung für das Neue und Ungewöhnliche erkennen bzw. finden. Dabei wird sicherlich in vielen Fällen die Feststellung vieler Gemeinsamkeiten, nur in abgewandelter Form, gemacht werden.

4. Gesellschaftliche und politische Partizipation ermöglichen und fördern
Der Soziologe Ulrich Beck spricht von der „Erfindung des Politischen“, wenn er den Appell an jeden einzelnen Bürger richtet, bei der Gestaltung der Moderne aktiv mit zu wirken. Dabei soll jeder Akteur sich den Problemen der Moderne stellen und versuchen, durch den Einsatz seiner individuellen Ressourcen bei Problembewältigung und Neugestaltung seiner Umwelt und des gesellschaftlichen Lebens den kollektiven Bemühungen seinen Beitrag zu leisten.Damit wäre ein Fundament für die gesellschaftliche Partizipation bereitgestellt. Die intensivierte Form der Partizipation wird aber erst dann ermöglicht, wenn eine Minderheit durch die Aufnahmegesellschaft im privaten Bereich akzeptiert wird. Menschen, die sich kennen gelernt, sich gegenseitigen mit all ihren Gewohnheiten und Lebensweisen toleriert und akzeptiert haben, nehmen gemeinsam an sozialen Aktivitäten teil und gestalten so ihre Umwelt in gegenseitiger Abstimmung. Dabei liegt die volle Verantwortung für positive und negative Erfolge bei beiden Akteursgruppen.Politische Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist substantieller Bestandteil einer jeden funktionsfähigen und lebendigen Demokratie. Politiker, Medien und Teile der Öffentlichkeit äußern in letzter Zeit häufiger die Vermutung, dass die Bürgerinnen und Bürger verstärkt Distanz zum politischen System, seinen hauptsächlichen Vertretern und Institutionen aufbauen. Es gibt eine wachsende Kritik an politischen Akteuren. Der Begriff der Politikverdrossenheit erlebt eine Konjunktur. Eine partizipierte Integration auf gesellschaftlicher Ebene bietet in dieser Hinsicht eine neue Chance für eine politische Partizipation. Dabei ist es extrem wichtig, dem Aufbruch der Individuen Raum der Entfaltung zu bieten, „um aus den drängenden Zukunftsfragen neue, politische offene Bindungs- und Bündnisformen zu schmieden“ (Beck/Beck-Gernsheim 1994: 35). Nach Beck ist dieser Prozess eine „projektive Integration“.

5. Chancengleichheit und Gerechtigkeit aufbauen und fördern
Hier neuer Themenabschnitt... Zur Realisierung der gesellschaftlichen und politischen Partizipation bedarf es einen Markt bestehend aus Angeboten und Anrechten, die durch Wahrung der Chancengleichheit und Gerechtigkeit markiert ist. Beim Zugang zu diesem Markt muss gewährleistet sein, dass die volle Bandbreite in der horizontale (bspw. Ethnie, Geschlecht, Alter) und vertikalen (bspw. Arbeiterfamilien, Familien mit hohem oder niedrigem Bildungsstand) Gesellschaftsstruktur erfasst wird. Erst dann kann durch eine entfesselte und barrierefreie Plattform der individuellen und kollektiven Entfaltung von Eigenschaften, Fähigkeit und sozialen Kompetenzen und deren sozialer Austausch die Basis für die Entwicklung und Entfaltung von gemeinsamen Wertvorstellungen zustande kommen.

6. Ein neues Wir-Gefühl antizipieren und gestalten
Hier neuer Themenabschnitt...Durch eine hohe Ernsthaftigkeit und ein hohes Maß an individuellem und kollektivem (Politik, Vereine und Verbände, Arbeitswelt usw.) Engagement können und sollten die oben genannten Leitpunkte in der Gesellschaft etabliert werden, damit ein beständiges "Wir-Gefühl" entsteht und sich entwickelt, das ein friedliches und wohlständisches Zusammenleben im Jetzt und in der Zukunft ermöglicht.